Gründungsgeschichte der Evangelischen Kirchengemeinde Borken

Siegel (tw.) der Evangelischen Kirchengemeinde Borken

- ein Beitrag von Winfrid Kratzsch -

"Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt,                                         wird blind für die Gegenwart."                                                                                     (Richard von Weizsäcker)

 

Die Reformation erfasste im Ringen um den "rechten Glauben" ganz Deutschland, so auch das Westmünsterland. Der Anfang einer konfessionellen Koexistenz der christlichen Bekenntnisse in Deutschland wird im September 1555 auf dem Reichstag in Augsburg markiert - Das "Augsburger Bekenntnis" ist zweifellos vor dem Hintergrund der damaligen aufgeladenen Stimmung als Akt staatlicher Toleranz zu verstehen: "Cuius regio, eius religio" - Wer in einem Gebiet regiert, bestimmt dort die Konfession der Untertanen.

In Borken stand ein Teil der Bürger der Reformation aufgeschlossen gegenüber - die weltliche Macht lag jedoch beim Bischof von Münster, dadurch bedingt wurde Borken wieder "rein katholisch".

In Gemen bekannte sich Graf Jobst II. zum "evangelisch - lutherischen Bekenntnis". Gemen blieb evangelisch.

Nach dem Ende der evangelischen Dynastie auf der Burg Gemen führte man ab 1635 in Gemen wieder das katholische Bekenntnis ein und es existierten zwei Konfessionen auf engstem Raum.

Nach den Befreiungskriegen gegen das napoleonische Frankreich wurde Borken 1816 preußische Kreisstadt. Vereinzelt zogen in den folgenden Jahrzehnten evangelische Christen zu - meistens Beamte, die z. B. beim Zoll, der Polizei oder als Post- und Bahnbeamte ihren Dienst versahen -, sie gehörten zur Kirchgemeinde Gemen. Der Pfarrbezirk Gemen erstreckte sich von Oeding bis Velen, Raesfeld, Rhedebrügge und Borken. (Gemen war in den Folgejahren auf kommunaler Ebene Ortsteil von Borken geworden).

Die evangelischen Flüchtlinge und Vertriebenen, die nach dem Ende des 2. Weltkrieges nach Borken kamen, wurden Mitglieder der Evangelischen Kirchgemeinde Gemen. Der Pfarrbezirk Borken innerhalb der Evangelischen Gemen wuchs im Jahr 1950 von 767 Mitgliedern auf 2.200 im Jahr 1965.

Seit 1949 wurde als Pfarrer Gustav Niedermeyer auf eine neue zweite Pfarrstelle in der Kirchgemeinde Gemen berufen - und versah seinen Dienst zwischen den Pfarrbezirken mit dem Fahrrad - er war der erste evangelische Pfarrer der Pfarrstelle Borken.

Die Firma Wülfing stellte, vermutlich seit 1954, ihr Gefolgschaftshaus für den Sonntagsgottesdienst alle 14 Tage kostenlos zur Verfügung.

Im November 1957 wird in Borken der Grundstein zur Martin-Luther-Kirche gelegt. Die Kirche sollte für in Borken stationierte Bundeswehr-Truppen als Garnisonskirche dienen. Man wendet sich an den Dekan des Militär-Seelsorgebereiches und bittet ihn um Unterstützung beim Bau und der Ausstattung der Kirche. Am 4. Advent 1958 wird die Martin-Luther-Kirche mit einem Festgottesdienst eingeweiht.

Noch ca. 7 Jahre nach Einweihung der Martin-Luther-Kirche wurde die Gemeinde als "Evangelische Kirchgemeinde Gemen" geführt, mit allen damit zusammenhängenden Abhängigkeiten. Die Selbstständigkeit erhielt sie zu Beginn des Jahres 1966 - der Bereich Borken wurde "ausgepfarrt", wie es kirchenrechtlich korrekt heißt, und zur selbstständigen Kirchengemeinde Borken erklärt.

Die Evangelische Kirchengemeinde Borken wählte zum ersten Mal ein Presbyterium und im Siegel wurde auf "Galater 5.1" verwiesen:
"Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft zwingen."

 

wk - 2012

 

Kirchengeschichte: Die Evangelische Kirchengemeinde Borken

Quelle: "Gemeindebuch 1980 des Kirchenkreises Steinfurt - Coesfeld"

Herausgeber: Kreissynodalvorstand des Kirchenkreises Steinfurt - Coesfeld

Gesamtredaktion: Pfarrer Hans-Werner Pohl, Bocholt

Abschrift der Seiten 49 bis 52

Evangelische Kirchengemeinde Borken

Die Darstellung der Geschichte der Evang. Kirchengemeinde Borken beginnt am sinnvollsten vielleicht mit dem Jahr 1945, als Deutschland den 2. Weltkrieg verlor und viele Menschen aus den ehemaligen deutschen Provinzen Pommern, Ostpreußen und Schlesien vertrieben wurden. Dieser Flüchtlingsstrom ergoss sich in Richtung Westen in das Gebiet der heutigen DDR und der Bundesrepublik Deutschland.

Konfessionell gesehen war Borken eine fast rein katholische Stadt des Westmünsterlandes. Nur in der Nachbargemeinde Gemen hatte sich seit der Reformation eine kleine evangelische Enklave gehalten. Einige Evangelische wohnten auch in Borken, z. B. Zöllner, Polizei-, Post- und Bahnbeamte, wenige Kaufleute. Die meisten waren zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg nach Borken gekommen. Sie gehörten zur Evangelischen Kirchengemeinde Gemen.

Die evangelischen Flüchtlinge und Vertriebenen, die nach Borken kamen, schlossen sich der Evangelischen Kirchengemeinde Gemen an.

In Gemen war eine Pfarrstelle eingerichtet, die in Personalunion mit der Pfarrstelle in Oeding durch Pastor Echternkamp verwaltet wurde. Das Gebiet der Evangelischen Kirchengemeinde Oeding betrug 93 qkm, unter 10.066 Einwohnern lebteb damals 200 evangelische Christen. Zur Evangelischen Kirchengemeinde Gemen gehörten die Orte Velen-Stadt, Waldvelen, Nordvelen, Ramsdorf, Gemenkrückling, Gemenwirthe, Gemen, Heiden, Marbeck, Raesfeld, Homer, Rhedebrügge, Hoxfeld, Westenborken, Grütlohn und Borken-Stadt. Auf 264 qkm lebten in diesen Ortschaften unter 35.000 Einwohnern 1.000 evangelische Christen; insgesamt hatte Pastor Echternkamp in Personalunion auf 357 qkm unter ca. 45.000 Einwohnern 1.200 Evangelische.

In Gemen stand eine kleine schmucke Kirche aus der Barockzeit. Es war nur allzu klar, dass durch den Zustrom der vielen Flüchtlinge und Vertriebenen nach 1945 die Evangelische Kirchengemeinde Gemen personell wie räumlich überfordert war. Die folgende Geschichte der Kirchengemeinde lässt sich als der Versuch darstellen, die personelle und räumliche Betreuung der evangelischen Christen dieser gewaltigen geschichtlichen Änderung anzupassen.

Als erstes wurde eine weitere Pfarrstelle eingerichtet. In diese Pfarrstelle der Evangelischen Kirchengemeinde Gemen wurde als Pfarrer und Seelsorger Gustav Niedermeyer, geb. am 22.8.1906 in Hiddenhausen, am 1. März 1949 berufen. Er war allerdings schon 1948 in die Gemeinde gekommen. Pastor Niedermeyer versah seinen Dienst in dem 14 km entfernten Burlo, in dem 12 km entfernten Raesfeld, in dem 8 km entfernten Rhedebrügge, in dem 7 km entfernten Heiden, in dem 6 km entfernten Hoxfeld mit dem Fahrrad.

Auf die Dauer musste das für einen Menschen zu anstrengend werden. Er hatte außerdem keine ordentliche Wohnung - in Borken war ja alles zerstört - geschweige denn ein Pfarrhaus.

Am 5. November 1952 war die Grundsteinlegung für ein kleines Pfarrhaus weit draußen auf der grünen Wiese in der Langen Stiege. Damit bekam Borken in seiner langen Geschichte zum ersten Mal ein evangelisches Pfarrhaus. Es existiert noch eine Durchschrift von der Urkunde über die Grundsteinlegung. Das Grundstück hatte der bei der Grundsteinlegung schon verstorbene katholische Propst Sievert der Evangelischen Kirchengemeinde Gemen am 2. Mai 1952 in Erbpacht überlassen. Die Lage des Grundstücks zum Zentrum der Stadt Borken und des Seelsorgebezirks war damals peripher, aber es war dennoch der erste zaghafte Anfang der Ökumene in Borken.

Die evangelischen Kinder in Borken sollten in eine evangelische Schule gehen. 1905 hatte Pastor Bramesfeld aus Gemen für die evangelischen Kinder eine einklassige Volksschule an der damaligen Nordstraße - später Haus Röskenbleck - gebaut. Dieser ersten evangelischen Volksschule in Borken kann man den Beginn einer zunächst noch langsamen aber nach dem 2. Weltkrieg durch den großen Flüchtlingsstrom sehr stürmischen Entwicklung ansehen.

1945   nahm die evangelische Schule noch 54 Kinder auf.

1950   waren es schon 102.

1949-51   musste eine neue zweiklassige evangelische Volksschule gebaut werden.

1954   musste diese Schule auf vier Klassen erweitert werden.

1958   nahm sie bereits 145 Kinder auf.

Die evangelische Schule in Borken existierte 1976 bei der Amtseinführung von Pfarrer Herbst nicht mehr. Sie war 1969 geschlossen worden; als Grund ist dreierlei zu nennen: a) man wollte in Borken keine rein evangelische Schule, sondern eine Gemeinschaftsschule, b) weder in Borken, noch in Gemen fanden sich genug Kinder für eine mehrzügige evangelische Grundschule, c) die evangelischen Gemener Christen waren nicht bereit, ihre Kinder auf die evangelische Schule nach Borken zu schicken und die Borkener evangelischen Christen nicht, ihre Kinder auf die evangelische Schule nach Gemen zu schicken. Es gibt noch einen Briefwechsel zwischen Pfarrer Niedermeyer und einem Staatssekretär im Kultusministerium um den Erhalt einer evangelischen Schule in Borken, aber die Borkener konnten sich mit Gemen nicht einigen.

Die Entwicklung der Seelenzahl im Pfarrbezirk Borken der Evangelischen Kirchengemeinde Gemen.

1950   hatte der Pfarrbezirk Borken 767 Seelen,

1952   bei der Grundsteinlegung des Pfarrhauses waren es bereits ca. 1.000,

1958   waren es 1.700,

1959   am 30.9. 1.884, 

1961   am 6.1. 2.134,

1965   bei der Verselbständigung 2.200,  

1976   am 31.12. 2.470,

1977   am 31.12. 2.578, 

1978   am 31.12. 2.691,

1980   am 30.5.   2.788.

1954 wurde der zweite Pfarrbezirk Borken gegründet und ihm die zweite Pfarrstelle der Evangelischen Kirchengemeinde Gemen mit Pastor Niedermeyer zugeordnet. Zum zweiten Pfarrbezirk gehörten Borken, Heiden, Marbeck, Raesfeld, Homer, Grütlohn, Westenborken, Rhedebrügge und Hoxfeld. Im Sommer 1948 kam der Diakon Benno Herzog aus Berlin nach vielen Umwegen nach Marbeck. Schwerpunktmäßig hatte er die evangelischen Christen in Marbeck, Raesfeld und Heiden zu betreuen. Er unterstützte Pfarrer Niedermeyer im zweiten Pfarrbezirk, während im ersten Pfarrbezirk Pfarrer Echternkamp durch Pfarrer Recknagel in Weseke unterstützt wurde.

Die Fa. Wülfing stellte, wahrscheinlich auch im Jahre 1954, ihr Gefolgschaftshaus kostenlos für den Sonntagsgottesdienst alle 14 Tage der evangelischen Gemeinde des Pfarrbezirks Borken zur Verfügung. Das Kreuz, unter dem sich die evangelischen Christen dort versammelten, hängt seit 1978 im Grünen Saal des Evangelischen Gemeindehauses an der Heidener Straße 49. Der Gemeindegesang wurde durch ein Harmonium unterstützt, das Pastor Niedermeyer von Frau Schepermann bekommen hatte. Einige Kinder sind damals in den Jahren 1954 bis 1958 im Gefolgshaus getauft worden.

 Die evangelischen Christen des Pfarrbezirks Borken der Evangelischen Kirchengemeinde Gemen wollten gerne eine eigene Kirche haben. Als Grundstück für die Kirche war eine Fläche außerhalb der Stadt in der Nähe der Langen Stiege angeboten worden. Dies erschien den damals Verantwortlichen zu weit abgelegen. Es gelang der Kirchengemeinde Gemen, über den Kreishandwerksmeister, Herrn Dahlhaus, die ehemalige "Alte Post" von den Erben Lueb/Wolter zu erwerben. Der Kaufvertrag wurde am 7. Dezember 1954 vor dem Rechtsanwalt Dr. Joseph Wolter abgeschlossen. Das Grundstück war damals 1.925 qm groß.

Am 18. Januar 1955 - einen Monat später - gründete man in dem Ausflugslokal Döringbach den Kirchbauverein für eine evangelische Kirche in Borken. Im Laufe der 4 Jahre von 1955 bis 1959 hat der Kirchbauverein unter der armen evangelischen Bevölkerung Borkens 54.000,-- DM gesammelt und damit 1/6 der Kosten des Kirchbaus aufgebracht.

Am 11.11.1957 war die Grundsteinlegung für die neue Kirche, nachdem zuvor im August das Gebäude der "Alten Post" abgebrochen worden war. Der Grundstein mit Inschrift "1957" ist an der südwestlichen Außenmauer des Tores noch heute für jedermann sichtbar.

Am 1.10.1958 wurden drei Glocken in Gescher gegossen. Am 4. Advent 1958, am 21.12. war die feierliche Kirchweihe. Baumeister der Kirche war der Dipl.-Ing. Kahrmann aus Coesfeld. Bei der Einweihung übergab Frau Kahrmann den Schlüssel an Oberkirchenrat Brandes, dieser an Superintendent Brune, dieser an Pastor Niedermeyer.

1960 kaufte die Kirchengemeinde das Haus der Familie Lueb an der Heidener Straße. Von 1961 bis 1963 dauerte der Umbau zu einem Haus der Offenen Tür. der Gesamtumbau kostete ca. 393.000,-- DM. Von 1963 bis 1965 hatte der Küster Max Mittelstädt die Aufsicht, von 1965 an wurden Sozialpädagogen eingestellt, von 1965 bis 1966 Herr Puffert, von 1967 bis 1974 Herr Weigel, von 1974 bis 1976 Herr Bendig.

Wegen vielfältiger Schwierigkeiten mit dem HOT (Haus der Offenen Tür) in finanzieller, personeller und pädagogischer Hinsicht wurde das Haus zum 31.12.1976 geschlossen. 1977 bis 1978 wurde das ehemalige HOT zum Evangelischen Gemeindehaus umgebaut. Z. Zt. wird es von ca. 30 Gemeindegruppen genutzt:

Männerkreis, Frauenhilfe, Jugendgruppe, Nähstube, Kaffeestube, Altennachmittag, Frauengruppe, amnesty international-Gruppe, Kirchenchor, Posaunenchor, Kinderchor, Presbyterium, Gemeindebeirat, Amt für Diakonische und Soziale Dienste, Kleiderstube, Bücherei, Bastelgruppe, Kindergottesdienst-Helferkreis, Kinderspielgruppe, Jugendmitarbeiterkreis, Kreis für junge Mütter mit Kleinkindern, Bibelstunde, Vorbereitungskreis für Gottesdienste in anderer neuer Gestalt, Erwachsenenbildung, Besuchsdienstkreis, Konfirmandengruppe, Katechumenengruppe, Gemeindebriefausschuss, Teestube, Diskothek und der Hauskreis (selten).

Im August 1963 wurde die Orgel installiert. 1965 finden die entscheidenden Verhandlungen statt, im Zuge derer es am 1.1.1966 zu einer Auspfarrung des Gemeindebezirks Borken aus der Evangelischen Kirchengemeinde Gemen kommt. "Damit ist eine Auseinandersetzung zwischen Gemen und Borken beendet, die vier Jahre dauerte", schrieb Pastor Niedermeyer in der BORKENER ZEITUNG vom 29.12.1965. "Die bisherige zweite Pfarrstelle der Evang. Kirchengemeinde Gemen geht auf die Evangelische Kirchengemeinde Borken als deren erste Pfarrstelle über." Damit hatte eine Entwicklung ihr Ziel erreicht, die 1952 mit dem Bau des Pfarrhauses in Borken, 1954 mit der Einrichtung des Pfarrbezirks Borken, 1958 mit dem Bau der Kirche und 1960 mit dem Aufbau eines selbständigen Gemeindelebens begonnen hatte. Seit 1960/61 existieren z. B. die Frauenhilfe, der Kirchenchor, der Posaunenchor, die Gemeindebücherei und die Nähstube Borken. Im Zuge der Verselbständigung werden 1966 das Pfarrhaus in der Langen Stiege, die Kirche und das HOT auf die Evangelische Kirchengemeinde Borken überschrieben.

1969/70 baut die Evang. Kirchengemeinde Borken ein neues Pfarrhaus hinter der Martin-Luther-Kirche für 226.000,-- DM. Voraussetzung dafür war eine Arrondierung des Grundstücks mit der benachbarten Firma Rave (1965) und der Verkauf des alten Pfarrhauses. es wurde ein Entwurf im Bungalow-Stil (Flachdach) bevorzugt, damit der segnende Christus (eine Graffito-Arbeit an der Südwestwand des Kirchenchores) sichtbar blieb. Das Pfarrhaus erhielt im Keller einen Jugend- und Konfirmandenraum, in dem sich bis zur Umwandlung des HOT in ein Gemeindehaus das Gemeindeleben der Kirchengemeinde abspielte.

Am 21.10.1975 stirbt Pastor Niedermeyer, nachdem er 27 Jahre lang in der Kirchengemeinde seinen Dienst getan hatte. Ein Jahr lang bleibt die Pfarrstelle vakant; am 17.10.1976 wird Pastor Herbst in die Pfarrstelle eingeführt.

(Die Abschrift erfolgte durch Winfrid Kratzsch)